Aachener Aufruhr am 30. August
1830
Im Jahre 1830, zu einer Zeit, die uns heute im Rückblick als Zeit des
beginnenden industriellen Aufschwungs der Dampfmaschinenepoche erscheint, da
hatte Aachen seine beste Zeit als Produktionsstätte schon lange hinter sich.
[…]
Bis 1815 scheint es keine schlimmen Folgen des neuen Konkurrenzsystems in
Aachen gegeben zu haben. Die napoleonischen Armeen hatten einen großen Bedarf
an Tuchen; das Geschäft blühte. Danach wurde Aachen zu Preußen geschlagen und
geriet dadurch in eine aussichtslose Randlage. Die Aachener Unternehmen
versuchten diesen Wettbewerbsnachteil durch forcierte Aufstellung
neuer Maschinen wettzumachen[…].
[…]
Am Montagmittag (traditionell genannt: „Blauer Montag“, da
er schon zu Zunftzeiten den Gesellen zu Besprechung gemeinsamer Angelegenheiten
gedient hatte und den sich auch viele Arbeiter trotz aller Verbote frei
nahmen.) des 30. August 1830 kam es an der Dicken
Pfeife (am Brunnen, Ecke Mörgens-/Rosstraße), einem Versammlungsort der
Fabrikarbeiter, zu einem Auflauf, da es am Zahltag Strafabzüge bei der
Auszahlung des Lohnes in der Tuchfabrik C.
Nellessen, J. M. Sohn gegeben hatte, die zu jenem Zeitpunkt seit dem Tod
des Seniorchefs Franz Carl Nellessen von seinen vier Söhnen
Heinrich (1789–1866), Carl (1799–1871), Theodor (1802–1888) und Franz Nellessen
(1805–1862) geleitet wurde. Der Scherer
Jacobi sprach mit einem Kollegen darüber, dass ihm wegen eines beschädigten
Tuches ein Zehntel des Wochenlohnes abgezogen worden war. In der Mittagspause
wurde das als Unrecht empfundene Verfahren diskutiert. So beschloss man, zu
Nellessen zu gehen, um die Abzüge einzuklagen. Ebenso klagte man über den
geringen Verdienst und über die Maschinen, die man dafür verantwortlich machte,
so dass man deren Zerstörung forderte.
Die Arbeiter zogen daraufhin
vor die Tore der Tuchfabrik Nellessen, wobei die Menge durch Neugierige schnell
auf mehrere hundert Menschen anwuchs. Dort forderte man lautstark die Beseitigung der Strafabzüge und versuchte, in die Fabrik
einzudringen. Das Vorhaben scheiterte, da die Fabrikarbeiter des Unternehmens
Nellessen den Einzug in die Fabrik verhinderten. Als die Gendarmen am
Versammlungsort erschienen, ließ die Menge ihre Aggression über den
fehlgeschlagenen Versuch an den Gendarmen aus. Durch die Verfolgung der
Gendarmen verlagerte sich das Geschehen, und wenig später zog die Menge zum
Haus des Industriellen James Cockerill am Friedrich-Wilhelm-Platz Nr.
7 in Aachen, dem späteren Haus der Erholungsgesellschaft. Dieser war für seinen
Reichtum bekannt und wurde für die Verbreitung der Maschinen in Aachen
verantwortlich gemacht, wodurch eine Vielzahl der Beschäftigten ihren
Arbeitsplatz verloren hatte.
Cockerills Einrichtung und das Mobiliar wurden vollständig
zerstört und das Haus geplündert, anschließend zog man zum Gefängnis, um nach
dem Vorbild des Pariser Bastillesturms, die dort einsitzenden Gefangenen zu
befreien, von denen der überwiegende Teil nur kleine Straftaten und
Ordnungswidrigkeiten begangen hatte (diese sogenannten Arme-Leute-Delikte waren
zur damaligen Zeit zumeist Holzfrevel, Gartendiebstahl oder ähnliches). Um die
Gefangenen zu befreien, benötigte man Werkzeuge, die man beim Mechanikus Stiel
zu beschaffen versuchte. Doch auch hier stieß man auf den Widerstand der
Arbeiter. Ein Teil der Aufrührer zog zum Friedrich-Wilhelm-Platz, während der
Rest sich zur Wohnung des Bierbrauers Bens begab, um sich Gewehre zu
verschaffen, was auch gelang.
Aus Mangel an Soldaten wurde eine Bürgerwache gebildet,
der es schließlich gelang, den Aufruhr zu beenden und in Aachen wieder „Ruhe
und Ordnung“ herzustellen.
James Cockerill lieferte 1807 die ersten modernen
Spinnmaschinen nach Aachen. In den folgenden Jahren setzten sich in Fabriken
mit zentralisiertem System halbmechanische, mit Wasserkraft betriebene
Handspinnmaschinen durch. 1828–1829 wurde die erste Hochdruckdampfmaschine
eingesetzt. Die günstige geographische Lage an der Grenze, die Nähe zu den
Rohstoffen, die frühe Gründung der Handelskammer und der Einsatz von
Großkaufleuten, wie David Hansemann, sowie die preußische
Gewerbepolitik nach 1814/15 trug zu der schnellen Industrialisierung Aachens
bei.
Ein großer Anteil der Stadtbevölkerung war 1830 abhängig
von der Tuchindustrie, entweder in Fabriken oder als Hausindustrielle tätig.
Die Einführung der Dampfmaschine, vor allem in der Tuchindustrie, die
fortschreitende Mechanisierung und die damit verbundene Arbeitslosigkeit, sowie
Frauen- und Kinderarbeit bei Niedriglöhnen, hatten zu den Unruhen geführt. Im
Jahr 1830 wurde ein Aufruhr der Arbeiterschaft
von bewaffneten Bürgern und Soldaten blutig niedergeschlagen.
Wer
war von der Industrialisierung am härtesten betroffen und warum?
Die Maschinisierung führte zur Senkung von Arbeitskosten
und der Verringerung der benötigten Arbeitskräfte, aber auch zu einer
Qualitätssteigerung. Diese Bedingungen zwangen die Fabrikherren, die
Produktionskosten zu senken und Arbeiter zu entlassen, die Arbeitslosigkeit
wurde zum Problem. Gut qualifizierte und gut entlohnte Berufsgruppen wurden zu
Fabrikproletariern herabgestuft. Von dem industriellen Wandel waren die Tuchbereiter
und Handspinner am härtesten betroffen.
Alle sozialen Schichten wollten das ungeliebte Regime entfernen.
Die Betroffenen Arbeiter wollten sich nicht unterdrücken lassen und erhoben
Anspruch auf gesicherte Lebensbedingungen.
Bei den Aachener Unruhen standen sozialen und
wirtschaftlichen Veränderungen im Vordergrund. Die Gruppe der Armen und Reichen
entwickelten sich ökonomisch immer weiter auseinander(Arme wurden ärmer, Reiche
wurden reicher). Die Auszahlung des Verdienstes erfolgte oftmals in Waren (Trucksystem),
wobei die Arbeiter um ihren Lohn betrogen wurden. Unterdessen reichten die
Löhne im besten Fall dazu, das Existenzminimum zu sichern. Die als Unrecht
empfundenen sozialen und ökonomischen Missverhältnisse und die aus der
Arbeitslosigkeit resultierende Armut veränderte die soziale Lage der unteren
Schichten der Gesellschaft. Zudem verschärfte sich der Konkurrenzdruck durch
die liberalen Zollgesetze von 1818.
Der „Aachener Aufruhr“ war ein sozialer Protest gegen
miserable Lebensverhältnisse. Ein Misserfolg bei den Verhandlungen über die
Lohnkürzungen versetzte die Menge 1830 in Verzweiflung und Wut. Die
undisziplinierten Aktionen wurden unter Einfluss von Alkohol durchgeführt, es war
kein organisierter Aufstand und die Rädelsführer (Anführer) waren nicht
unmittelbar betroffen, weswegen so gut wie niemand strafrechtlich verfolgt
werden konnte. Der Aufruhr hat jedoch zu keine Veränderung der Situation
beigetragen.
Zusätzliche Informationsquellen:
http://www.nordeifeler.info/wollroute/aachen/d/videos.php
http://www.textilmuseum-tuchwerk-aachen.de/
Quellen:
aus: Fehl, Kaspari-Küffen, Meyer (Herg.),mit
Wasser und Dampf, Aachen 1991
http://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Frage